Leftovers 2014
Leftovers 2014 (Relevance Editon)
auch nicht weitergekommen sind wir 2014 jedenfalls mit unserem sensorium für die tatsächliche relevanz (oder irrelevanz) von dingen. und zwar tatsächlich auf allen ebenen.
(was auf der einen seite wirklich absurd ist, weil man vermuten könnte, dass uns ein besseres sensorium für die tatsächliche relevanz (oder irrelevanz) doch bei formulieren von informierteren entscheidungen helfen dürfte, was uns dann zu besseren menschen mit besseren gesellschaften in einer besseren welt machen sollte, usw.)
(was aber auf der anderen seite wohl eine voraussetzung dafür sein dürfte, dass wir überhaupt zumindest noch irgendwie funktionieren können; der uns eingebaute relativismus – wir nehmen irritationen immer nur lokal war, und wir werden potentiell umso irritierter, je genauer wir hinschauen – macht die meisten von uns zwar auf individueller ebene extrem ineffizient, ermöglicht aber erst die ausbildung von komplexeren strukturen auf sozialer ebene, für die wir dann halt eben kein sensorium haben, also ist alles irgendwie gut)
Leftovers 2014 (Don't Bug Me Editon)
auch nicht weitergekommen sind wir 2014 jedenfalls mit dem bereitstellen/einfordern von den ursprünglichen und einfachen defaults von webdiensten.
(was absurd ist, weil viel bei vielen plattformen verzeihbar wäre, wenn man es einfach abstellen könnte)
Leftovers 2014 (Pastoral Utopia Edition)
auch nicht weitergekommen sind die blogger, twitterer und elloer 2014 jedenfalls mit dem konzipieren und organisieren von adäquaten gemeinsamen arbeitsbedingungen – da sind google und co schon deutlich weiter.
Leftovers 2014 (Low Hanging Fruit Edition)
(oops, hab ich damals zum anlass begonnen und wollte ich noch überarbeiten und hab ich dann aber vergessen und jetzt ist es ein bisschen zu spät aber bevor ich es lösche usw.)
auch nicht weitergekommen sind wir 2014 jedenfalls mit dem entschärfen vom komplex urheberrecht/copyright, vor allem in der nicht geschäftsmäßigen benutzung, das wohl eine der unnötigsten fussfesseln vor allem für die entwicklung im deutschen internet ist.
(die gute nachricht ist, dass es damit tatsächlich eine tief hängende frucht gibt, mit der sich der webtechnologische entwicklungsgrad mit hoher wahrscheinlichkeit in absehbarer zeit deutlich verbessern könnte; die schlechte nachricht ist, dass alle anderen interventionen ohne diese frucht ziemlich sicher wirkungslos verpuffen werden)
warum ist eine anale auslegung vom urheberrecht so schädlich?
erinnern wir uns an den jüngsten fall, bei dem ein moderator abgemahnt wurde, weil er auf twitter ein foto gepostet hat. mich interessiert hier weniger das abwägen der verschiedenen positionen, ich möchte nur kurz zu ökosystemischen konsequenzen von einem ‘sich durchsetzenden’ urheberrecht erwähnen:
fotos können von mir aus gerne beschützt werden. wenn ein fotograf partout nicht will, dass sein foto in keinem von ihm nicht abgesegneten kontext erscheint, warum sollte er seinen wunsch nicht erfüllt bekommen?
das problem dabei ist halt, dass man dem foto nicht ansieht, ob sich dahinter ein fotograf mit einer ebensolchen disposition verbirgt (der dann unter umständen auch eine firma angeheuert hat, die das web und soziale netzwerke proaktiv und systematisch nach ‘verletzungen’ durchsucht, um die rechte mit kostennote durchzusetzen usw.), oder ob dahinter ein normaler mensch steckt, der sich über jede weiterverbreitung sogar freuen würde oder den es zumindest nicht stört.
und ich habe keine zahlen, aber ich vermute dass vl. jedes 1.000. geschossene foto urheberrechtlich wirklich beschützt werden will, es allen 999 anderen aber völlig egal wäre, wenn sie mal in einem twitterstrom oder illustrativ in einem blogpost auftauchen würden. (ich beziehe meine schätzung auf den differenzlosen urheberrechtlichen schutz; es gibt natürlich andere valide gründe, fotos nicht öffentlich verteilt zu sehen, das ist aber ein völlig anderes thema)
das problem ist also, dass der schutz nicht nur die tatsächlich schutzsuchenden und/oder schutzfordernden fotos betrifft, sondern auch alle anderen, und dass also das sharen von fotos ganz grundsätzlich mit einem über dem kopf schwingenden damoklesschwert verbunden ist. (ja, fotos können auch etwa cc-lizensiert sein und also selbst quasi die zustimmung geben, aber selbst da besteht immer die möglichkeit, dass die jeweilige quelle selbst nicht die rechte daran hat usw.)1
und da könnte man jetzt anmerken, na und, dann kann man halt nicht sharen, wenn man das foto nicht selbst gemacht hat oder man keine wasserdichte rechtekette nachweisen kann, das ist dann halt so, aber genau das bringt uns dann zur anderen seite der medaille, nämlich der kultur und der gesellschaftlichen ausdruckskraft. neben dem eigentlichen erzeugen von fotos (und allen anderen kulturprodukten) – dessen anregen und absichern ja gwm. der gesellschaftliche sinn der diversen urheberrechte ist – sind wir als gesellschaft mit dem web an einem punkt angekommen, an dem auch das zirkulieren, rekombinieren, reflektieren, reutilisieren, reanimieren, etc. ebendieser kulturellen entitäten selbst ganz nativ zur kultur und gesellschaftlichen ausdruckskraft dazugehört und diese gwm. ‘bildet’. mit dem web und den damit erzeugten ausdrucksformen wird gwm. jede kultur zur popkultur oder zumindest zur basis für popkulturelle referenzen. und kultur, die sich dem verweigert, findet im gesellschaftlichen bewusstsein quasi einfach nicht mehr statt und verliert durch die verweigerung eher früher als später gwm. auch die gesellschaftliche legitimität.2
wenn uns etwas gefällt, hatten wir immer schon den unwiderstehlichen drang, das anderen zu erzählen und sie damit anzustecken. auf den verschiedenen plattformen können wir das jetzt halt viel einfacher, effektiver, besser und mit zunehmend vielen medien tun und/oder auch als basis für eigene aktivitäten benutzen. und nicht nur das, das einfache sharen (mit dem immer anschliessenden deuten oder diskutieren) ist gwm. der einstieg in die ‘kulturproduktion’ und das beste format, leute mit (der) technologie vertraut zu machen und zu verbinden. wir eignen uns ja technologie nicht um ihrer selbst willen an (und wir lernen nicht mal einfach so und zu seiner selbst willen programmieren), wir eignen sie uns an, weil wir damit was machen können was wir machen wollen (bzw. eben dann was programmieren können was wir haben wollen).
nun ist das spezifisch deutsche problem, dass es um die ich sag einmal spielerische ausdruckskraft im weltweiten vergleich ohnehin nicht besonders gut bestellt ist. es gibt eine hoch ausgeprägte diskursive diskussionskraft (und das mit dem fehlenden humor ist ein völliger blödsinn, es gibt neben dem fasching auch einen weit verbreiteten extrem subtilen und trockenen humor), aber der ansatz ist selten neugierig und/oder expressiv (wer twitter ende 2006 oder anfang 2007 entdeckt hat, wird sich vl. noch daran erinnern können, in welche völlige sinnkrise das die damalige deutsche webgemeinde und ein paar jahre später dann die deutschen medien gestürzt hat, siehe etwa metahyping und 140 prozent). was wiederum bedeutet, dass es weniger vorhandene grundkraft gibt, die eine ausdrucksform sucht und ans licht will. und wenn man nun bei jeder aktivität sofort gefahr läuft abgemahnt zu werden, dann dämpft das die pflänzchen schon im keim ab.3
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1 ein anderes beispiel der jüngeren zeit (no pun intended) war ein ‘geistreicher’ tweet, den die zeit auf ihrer facebookseite zwar brav attribuiert aber als gif und nicht zum konkreten tweet verlinkt eingebettet hat, um dann nach großer empörung reumütig eine rechnung zu bezahlen. auch das bedeutet natürlich asymptotisch, das es grundsätzlich gefährlich ist, tweets ausserhalb von twitter zu wiederholen, weil man nicht wissen kann wie der jeweilige twitterer gestrickt ist.
2 (nicht die institutionelle; institutionen sind gwm. spezialisten darin, die wertschöpfung aufzusaugen und in sich selbst zu kapseln, sich damit aufzublähen und zu verbrauchen; der effekt vom urheberrecht ist jedenfalls ein farbloseres web, das weniger spass macht, das also weniger anreiz zur beschäftigung generiert, was zunehmend weniger webkompetenz der leute bedeutet, was gesamtgesellschaftlich die eigene schlagkraft insgesamt schwächt)
3
bonus: welche absurden blüten dieses spezifisch deutsche beharren hat, sieht man etwa auch an dieser ^ grafik, die illustriert, wie viele der weltweit beliebtesten youtube-videos in deutschland gesperrt sind. und das ist zwar – genau wie das leistungsschutzrecht oder das verpixelungsrecht für hausfassaden, die es sonst auf der ganzen welt nicht gibt – ein grundsätzlich anderes thema, aber die zugrundeliegende disposition ist die gleiche.
Leftovers 2014 (Agency Editon)
auch nicht weitergekommen sind wir 2014 jedenfalls mit unserem zwang, für alles irgendeinen ‘agenten’ zu suchen, dem wir das jeweilige phänomen zuschreiben.
(was haben die poststrukturalisten gestrauchelt, um uns dann irgendwann den autor auszutreiben, nur damit dann die socmed crowd kommt, um dann alles wieder google oder facebook oder twitter zuzuschreiben, usw.)
Leftovers 2014 (Noch Mehr Schwarte Edition)
^ auch nicht wirklich weitergekommen bin ich 2014 jedenfalls mit dem durchprozessieren einiger schwarten (gwm. den schlechten gewissen der gesellschaft), aber vor allem unendlicher spass und der implex nehme ich mir auch wieder für 2015 fest vor usw.
siehe auch leftovers 2012 schwarte edition und leftovers 2013 more schwarte edition
Leftovers 2014 (Lazy Web Edition)
auch nicht weitergekommen ist das lazy web 2014 jedenfalls mit dem verfassen von lazy blogposts (da liegen mittlerweile schon 42 ungeschrieben herum).
Leftovers 2014 (Cruft Edition)
wer noch einen machbaren vorsatz für 2014 sucht: den url cruft (feedburner, google analytics & co) im eigenen blog entfernen!!
— Markus Spath (@hackr) January 12, 2014
^ auch nicht weitergekommen sind die meisten von euch 2014 jedenfalls mit dem ausmisten vom url cruft, einem der unnötigsten ärgernisse im web (und zu 95% googles schuld, und zu den anderen 95% schuld der leute, denen es einfach egal ist, wenn ihre urls (für eine sinnlose und sogar irreführende metrik in google analytics) völlig verschandelt sind).
Leftovers 2014 (Numbers Edition)
auch nicht weitergekommen sind wir 2014 jedenfalls mit dem Begrenzen der Verzauberung die Zahlen auf unsere Urteilskraft ausüben.
(nur als anker, über das hab ich ja schon öfter geschrieben; was fehlt – aber natürlich nicht geht – wäre eine art mentaler log-filter)
Leftovers 2014 (Open Social Edition)
auch nicht weitergekommen sind wir 2014 jedenfalls mit dem Verständnis der Dialektik zwischen ‘offen’ und ‘sozial’.
(ich bin heute endlich draufgekommen, warum es mich immer irritiert hat, wenn in meiner timeline jubellinks zum indieweb (und/oder cousins) durchgelaufen sind. ich hatte vermutet, dass es der implizite solutionismus war, den ich nicht ganz teile, aber als ethischen horizont hätte ich es ja auch immer unterschrieben. die irritation kommt, vermute ich nun, vom namen indieweb selbst, weil damit semantisch schon den mehr oder weniger geschlossenen plattformen und gärten schon der normalzustand zugestanden wird, gegen den man sich mit einer unabhängigkeitserklärung erst abgrenzen/emanzipieren muss, während ja genau das, was das indieweb auszeichnet, der normalzustand – das web – ist, und die geschlossenen communities also als gartenweb abgrenzt/bezeichnet werden müssten.
das zumindest im hinterkopf zu behalten wäre deshalb so wichtig, weil die lektion draus eine andere ist, als man vermuten würde. während der übergang web -> indieweb nur für die ohnehin schon bekehrten spricht und diesen vl. sogar eine falsche richtigkeit suggeriert, spricht der übergang web -> gartenweb eben fast alle anderen an und macht die unterscheidung bewusst, dass man gewisse freiheiten bewusst aufgibt, um in den genuss von dichteren sozialen objekten oder mehr bequemlichkeit zu kommen (die es leider nur in gärten gibt, wobei die gärten nicht notwendigerweise geschlossen sein müssen, es aber öfter als nicht sind), ohne sich dann aber von jammerern den spass verderben zu lassen.)
Leftovers 2014 (Jackass Edition)
auch nicht weitergekommen sind wir 2014 jedenfalls mit dem führen eines diskurses, dessen primäre themen nicht rein fremdbestimmt sind (und der üblicherweise rein reaktiv auf die säue reagiert, die irgendwelche jackasses je nach bedarf offensichtlich mühelos an der hauptstraße des dorfes aussetzen können).
Leftovers 2014 (Bayesean Thinking Edition)
auch nicht weitergekommen sind wir 2014 jedenfalls mit dem shiften unserer disposition von einem frequentistischen ansatz zu einem bayes’schen.
(nur in einem satz: frequentisten basieren ihre kalkulationen für wahrscheinlichkeiten/erwartungen strikt auf der verteilung der datenpunkte und zahlen; bayesianer beginnen mit einem best guess und adaptieren die heuristik ihrer kalkulation mit den neuen daten jeder iteration und berücksichtigen jegliches situative wissen)
((das betrifft übrigens primär unseren diskurs; die diskrepanz zwischen unserem gebabbel und dem kollektiv oft viel schlüssigeren tatsächlichen verhalten basiert gefühlsmässig darauf, dass wir uns intuitiv nicht frequentistisch sondern eben bayes’esk verhalten, ohne das wir das rationalisieren können oder müssten))
Leftovers 2014 (Basics Thinking Edition)
auch nicht weitergekommen sind wir 2014 jedenfalls mit dem konzipieren und legen der basics für eine mündige webbenutzung in einer mündigen vernetzten gesellschaft. das allerwichtigste – vor jeder theorie, vor jeder politik, vor jedem programmierenlernen, vor jedem selbstschutz vor überwachung, usw. – ist ja, dass leute die wichtigsten basics kennen, um dinge richtig(er) einschätzen zu können, um dinge für sich leicht(er) zu machen, um dinge für sich besser zu machen, um zu verstehen, wie man sich in die lage bringt, sich selbst in die lage zu bringen sich in eine bessere lage zu bringen, usw.
(ich konstatiere das nur mal, natürlich ist das alles nicht ganz so einfach, zumal sich die bevölkerung zur gleichen zeit auf einer dramatischen ungleichzeitigkeit des grundverständnisses befindet, was auch alle interventionen verkompliziert und oft verunmöglicht, weil es keine pragmatischen blöcke eines erwarteten minimalverständnisses berücksichtigt. trotzdem ist das vl. die am tiefsten hängende frucht, die natürlich von politik und medien wo und wie möglich torpetiert wird, weil sie den jeweiligen eigeninteressen diametral entgegenläuft, für die es aber eben völlig unabhängig davon längst eine (web)organische lösung geben sollte, die es aber afaics eben nicht mal ansatzweise gibt)
Leftovers 2014 (Ants Edition)
auch nicht weitergekommen sind wir 2014 jedenfalls bei der arbeitsteilung für das, was von wem im web sinnvollerweise aufgearbeitet und damit allen anderen zur verfügung gestellt wird. reine hausnummer, aber ich vermute, dass 90-95% der gesamten aktivitäten in vielen bereichen (nicht in allen) auf eine tatsächlich völlig wertlose weise redundant sind, also einfach dutzende male (etwa einschätzungen zu netzpolitischen themen in de) oder tausende male (etwa unboxing videos vom neuen iphone oder birchbox) jeweils isoliert aber fast wortgleich wiederholt werden, ohne irgendeine variation einzuführen, ohne irgendeinen persönlichen lernprozess zu reflektieren, etc. das ist an sich kein problem und jeder soll immer so tun können wie er will, das ‘gesellschaftliche’ problem dabei ist aber, dass kein erkenntnisgewinn jenseits des ohnehin bekannten stattfindet, keine verschiebung des diskursiven niveaus, keine verbesserung der handlungsfähigkeit oder relevanz des themas im zusammenspiel mit den tangierenden gesellschaftlichen subsystemen (wirtschaft, politik, ..), die bei besserer organisation der investierten ‘arbeitsstunden’ lockerst möglich wären.