Das Einhorn
blogpost zum tweet
vor allem auch weil die twitterwelt eben alles ist, was der twitterfall ist, will ich die positionen und wahrnehmungen nicht im einzelnen betonen, sondern nur ein paar allgemeine anmerkungen über twitter machen, die ich im kollektiven unsere-zukunft-nach-musk gemurmel kaum berücksichtigt finde. schnell vorab:
twitter ist ein einhorn, das im zoo unserer webdienste/plattformen einen singulären charakter hat. viele gängige techniken aus den playbooks (von startups und usern) für social media greifen bei twitter nicht und sind öfter als nicht eher kontraproduktiv.1
5 elemente dieser singularität:
- das soziale objekt von twitter ist ein gedanke / ein moment
(gedanken resp. momente sind mannigfaltig, deshalb ist es auch twitter, weil es die matrix aus input und möglichkeiten der benutzung ist. für mich ist es völlig unerklärlich, dass mehr oder weniger überhaupt keine interpretation der ereignisse nach musk das soziale objekt der jeweiligen plattform auch nur im ansatz berücksichtigt. alle tun so, als wäre überhaupt jedes soziale netzwerk austauschbar gleich, social graph baby!, als könnte und sollte man jetzt halt genausogut auf tiktok (das ist ja eh die zukunft, dort sind doch die jungen) oder ins fediverse oder in die blockchain oder sonstwohin gehen, dabei geht es überall um was völlig anderes (in meiner TL war wusi die einzige, die das zumindest registriert hat “Notfalls lip sync und Tänze”.)2
- der twitter handle ist die de-facto universelle adresse für öffentliche ansprechbarkeit im netz
es gibt natürlich noch andere ‘adressen’ die eins hat oder haben könnte (email, telefonnummer, url vom blog, andere profile, etc.) aber nur der twitter handle wird universell verstanden, ist öffentlich und unaufdringlich. (im profil nur die ersten 5 oder so tweets zu zeigen und dann mit dem signup popup zu kommen ist deshalb eine der allergrößten idiotien im web)
- tweets sind in ihrer unveränderbarkeit die einzigen stabilen, in raum und zeit gefroren referenzpunkte im web
man kann sie löschen aber ansonsten ist das der eine gemeinsame öffentliche raum, in dem aussagen fest stehen (und in der folge rekonstruierbare referenzen für historische ereignisse, geschichtliche entwicklungen usw) sind. (der edit button ist deshalb eine der allerallergrößten idiotien und unforced errors im web)
- twitter ist egalitär / für alle gleich
mit warhol könnte man sagen ‘you can know that the president tweets, Liz Taylor tweets, and just think, you can tweet, too. Twitter is Twitter and no amount of money can get you a better Twitter than the one the bum on the corner is enjoying. all the tweets are the same and all the tweets are good.’
das trifft zwar teilweise auch auf andere plattformen, apps und gerätschaften zu, aber bei twitter koinzidiert das auch mit dem ‘datentyp’ tweet selbst, der die einfachste universell sinnvolle einheit im web ist, wenn man so will. jeder hat die exakt gleiche möglichkeit zu tweeten (schon bei flickr und youtube ist es ein bisschen anders, da spielt bald die kamera und andere produktionsmittel eine rolle; auf instagram die eigene optik und der zugang zu setups; auf tiktok das alter und verfügbare zeit; auf blogs der grad der beharrlichkeit u/o sturheit usw.) bei twitter braucht man nur zwei finger und ein beliebiges internetfähiges gerät, für den tweet macht das keinen unterschied. (deshalb ist dieser twitter blue button zumindest eine große dummheit, weil einige tiere gleicher als andere werden usw.)
- twitter ist ein dorf
man sitzt mit allen anderen zusammen. neben dem präsidenten und liz taylor und dem bum auch das common squirrel und das possumeveryhour und vielen andere personen oder bots, die einen vl. wirklich interessieren. das verhältnis ist aber symbiotisch, der raum spannt sich in und durch twitter erst und nur in der benutzung auf.
das alles ist eher grundsätzlich und bedeutet jetzt für den einzelnen tweep zunächst einmal nichts, das etabliert nur einen spezifischen raum für kontingenzen, der in dieser art aber eben einzigartig und nicht resimulierbar ist und der nicht mal eben ausgerupft und an anderer stelle wieder eingepflanzt werden kann. deshalb empfiehlt es sich eine frage im hinterkopf zu behalten:
- was ist der eigentliche job to be done einer jeweiligen verwendung von twitter? (job tbd frei nach asymco der es frei nach christensen konzipiert, siehe)
die antwort für einen selbst wird man nicht finden, der mensch ist nicht dafür gestrickt sich selbst zu verstehen, aber mit den milchshakes von christensen können wir erahnen, dass es was anderes ist, als wir von allen seiten hören oder aber auch selbst glauben. man landet dabei auch schnell in einer art inception, wo hinter jeder ebene eines jobs eine andere ebene eines eigentlicheren jobs steckt, usw., aber das macht alles nix. alle ebenen wirken zwar gleichzeitig, aber man operiert immer nur unter temporärer selektion einer spezifischen ebene.
was nun vermutet werden darf: jobs tbd sind besser oder schlechter für twitter geeignet. manche wurden durch twitter tatsächlich erst möglich/auf scale praktikabel. der großteil der kognitiven dissonanzen, die wir im web in den letzten 10 jahren (nicht nur auf twitter) erleben, entsteht, wenn jobs tbd in (platt-)formen gepresst werden, die sich dafür einfach nicht eignen. (vor allem das nicht zünden vom indieweb und fediverse hat leider die eigene strukturelle inkompatibilität mit in ihrem wesen ehrenvollen ‘causes’ noch nie gesehen, weil sie ihren job tbd dahinter noch nie verstanden haben, aber das ist eine andere auslaufrille bei mir)
ohne microzumanagen oder die pluralität der jobs festlegen zu wollen, eine regel für twitter leitet sich daraus ab:
- twittere spezifisch!
auch wenn tweets in den allgemeinen raum aller tweets gepostet werden, reaktualisieren sie immer das subjekt auf basis dessen job tbd und adressieren dabei zunächst einmal immer nur die eigenen followers und spannen insofern im global space eine eigene, idiosynkratische fläche auf. man twittert immer nur in einem ganz konkreten, spezifischen verhältnis zum kollektiv, das sich aber permanent aktualisiert (und das immer auch mit einem potential zum kurzschluss verbunden ist. die paradigmatischen effekte sind wohl serendipität und viralität, aber in den kleineren formen steckt natürlich die hauptattraktivität von twitter, weil das eigene oevre immer über gesten, memes, second order trends, etc. im faktual mitschwingt. worin die spezifität besteht ist schon wieder mannigfaltig, aber der effekt davon ist, dass sich dadurch das soziale (im ursprünglichen sinn vom knacks, siehe) überhaupt erst etablieren kann).
(dem fediverse würde ich lustigerweise exakt die komplementäre regel mitgeben: toote allgemein! alles was den symbolisch-imaginären resp. sozialen überbau nicht braucht ist im fediverse eig. besser aufgehoben)
in diesem sinne: macht was ihr wollt, es gibt gute gründe für alles, aber lasst euch nicht den spaß von einer dumpfbacke verderben.
—-
1 es ist ein einhorn trotz und nicht wegen der corporate entity twitter. beobachten kann man das im grunde seit dem start und den damaligen megalomanischen phantasien, die sich von generation zu generation vererben. sinnloses wachstum, viralität, feature creep und vor allem diese diese fixe idee mit dem innovieren z.b. sind nur bei plattformen, die nicht auf sinn basieren, ein veritables mittel um ein momentum zu generieren, bei twitter wäre von anfang an die freiwillige selbstbeschränkung auf eigensinn selbst die wertvollste kraft gewesen, aber ich verzettle mich. die zeit in den nullern war jedenfalls lustig, als sich das feuilleton noch gefragt hat, für was das gut sein soll, als es noch keine ausgestampften pfade für die möglichkeiten (auf einfluss, reichweite, audience usw.) gab, als noch alles möglich schien.
2 die ursprünglichen 140 zeichen, in die im grunde nicht mehr als ein gedanke passte, wurden in der folge natürlich ausgeweitet, es gibt dann auch links, threads, photos und videos, reaction gifs, vorschauende twittercards usw., der paradigmatische datentyp von twitter bleibt aber der ein einem mentalen zyklus erfassbare moment.
aus dem gedanken wächst dann alles mögliche im anschluss, aber was beobachtbar gut funktionert ist das treiben im schwarm, das vorbeischwimmen an witzen, anmerkungen, erfassen einer gleichzeitigkeit bei live events, eindrücken, gefühlen, selbstvergewisserungen und virtue signaling für einen tribe, vor allem natürlich serien und cute overload usw.
politische diskussionen, wissenschaftliche abhandlungen, aufklärung und überzeugung von unbekannten, etc. sind nicht unmöglich, erfordern aber auf twitter second order strukturen innerhalb derer sie funktionieren.
gedanke jedenfalls ist ein sehr offener datentyp, der eben die unterschiedlichsten dinge ermöglicht, siehe wieder den ausgangstweet, man braucht sich also nicht wundern, aber man sollte halt auch wirklich mit den festlegungen aufpassen, zumal jede festlegung alle anderen möglichkeit behindern könnte.
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