live.hackr

die romantische komödie

Pfeifkonzert

(eigentlich soll man trolle nicht füttern, aber weil es doch gwm. das paradigmatische beispiel für das zu beschreibende phänomen ist doch eine minianmerkung zum witz über die griechen von nuhr auf twitter:

es ist in letzter zeit immer öfter zu beobachten, dass jede vorgebrachte kritik an irgendwas mit etwaigen pöbeleien kombiniert und in einem schwung weggeschüttet wird. noch besser wenn es einen sogenannten gackserl-sturm gibt, damit disqualifiziert sich das gesamte restliche internet und man selbst ist das einzige opfer.

zur erinnerung: nuhr hat kurz nach dem referendum in griechenland getwittert

Meine Familie hat demokratisch abgestimmt: Der Hauskredit wird nicht zurückgezahlt. Ein Sieg des Volkswillens

auch sehr wohlwollend bewertet, ist dieser witz gleich mehrfach problematisch. er kommt aus einer position der selbstgerechtigkeit und ordnungsgläubigkeit, was recht ist, muß recht bleiben, da gibt es keine nachsicht. er kommt aus einer position der stärke und macht sich über die schwachen lustig. er appelliert an das grundgefühl vom neid, was natürlich jede form von solidarität verhindert (‘ja genau, mir schenkt ja auch niemand was’). er ignoriert die gesamte geschichte der situation (und alle damit verbundenen machtpolitischen, wirtschaftlichen, diplomatischen, medialen, sozialen komplexitäten) und lokalisiert die ‘schuld’ bei den griechen, denen nur der ‘wille’ zum zurückzahlen fehlt. es ist ein witz für eine von den deutschen medien erzeugte mehrheit, der die konstruierten ressentiments verstärkt und nicht hinterfragt oder dekonstruiert. wer darüber nachdenkt findet sicher mehr, unterm strich ist es jedenfalls ein gelungenes stück populismus.

statt sich nun aber ein bisschen zu schämen, verteidigt nuhr seinen sogenannten witz in der faz dann auch inhaltlich (mit der deutschen/regierungspolitischen sandkastenargumentation, die alle vorgetragenen argumente schlicht ignoriert) und erklärt dann aber das netz und das, was es mit den menschen anstellt, zum problem. und man traut dann seinen augenen nicht, mit welchen geschützen er bei der beschreibung was er im anschluss ertragen mußte auffährt: natürlich den gackserl-sturm, der andersmeinende durch gemeinsamen bewurf mit gackserln nicht weniger als mundtot machen will; er wurde beleidigt, beschimpft, bedroht; er wurde als zensor bezeichnet, abstrus, weil er ja nicht der könig des internets ist (sic); es gab weitere beschimpfungen, beleidigungen, todeswünsche, drohungen; er wurde als nazi und in anderem zusammenhang als ausländerfeind bezeichnet, beides irrsinnige vorwürfe, die sachlichkeit vermeiden und den anderen überwältigen und ‘im digitalen vernichtungskampf’ besiegen wollen; sie wollten ihn primitiv etikettieren, um ihn, den andersdenkenden, moralisch zu diskreditieren, und das sei ‘die übliche form der auseinandersetzung’ im web; die primitivität und aggressivität der verfolgung führe zu lynchjustiz und pogromen, zum glück wird heute – anders als im mittelalter – nur noch virtuell getötet resp. digital vernichtet; der gackserl-sturm sei ganz offensichtlich die hexenverbrennung 2.0; und das werde im internet ja immer schneller; um meinungsfreiheit gehe es schon lange nicht mehr, argumente werden nur ‘in den seltensten fällen’ ausgetauscht, es gehe um meinungshoheit und die vernichtung abweichender meinungen, indem überwältigt, etikettiert, beleidigt wird; was fehlt sei die haftbarkeit des einzelnen, nur die bringt rechtsstaatlichkeit und menschenwürde; die pöbelnde masse, die wir gerade erleben, bringt uns zurück zum faschismus, vl. auch ins mittelalter; die herausforderung unserer zeit ist also die aufklärung auch ins web zu bringen.

hier ist das ding: die gesamte kommunikation, die aus dem quadranten der ‘hater’ kommt und mit dem internet teilweise erst sichtbar, teilweise erst erzeugt, teilweise sich selbst hochschaukelnd verstärkt wird, die einen manchmal wirklich fassungslos macht, ist nicht das beste, was das internet hervorgebracht hat, und ist ganz grundsätzlich niemandem zu wünschen.

sein artikel in der faz lässt jedenfalls schon die tiefsten abgründe der menschlichen seele vermuten, entsprechend vorsichtig und spät habe ich mich jetzt doch einmal an den thread zum tweet auf twitter herangewagt, aber hier wird’s interessant: die reaktionen sind in keinster weise so, dass sie eine solche tirade auch nur ansatzweise rechtfertigen würden. ich bin nicht auf facebook und dort schaut es u.u. etwas anders aus, aber im (durchaus langen) thread auf twitter gibt es vl. eine handvoll reaktionen, die man als ‘übergriffig’ bezeichnen könnte; die mehrheit der antworten besteht aus tweets, die dem witz ganz allgemein dummheit und/oder populismus und/oder mangelnden witz diagnostizieren; auch die zustimmung, die genausoists und die weitersos sind vertreten; und dann gab es auch noch eine durchaus signifikante anzahl an reaktionen, die ihm, würde er sich die mühe machen den hinweisen zu folgen, auch versuchen zu erklären, warum sein witz als dumm und populistisch und unlustig wahrgenommen wird. am ehesten entspricht das also einem pfeifkonzert, und das ist er nicht gewohnt und das verletzt vermutlich seine eitelkeit, weil er seine witze üblicherweise vor einem selbstselektierten publikum absetzt, das über jeden witz lacht. aber jede form der auseinandersetzung kann er sich und den faz-lesern sparen, wenn er ‘gackserl-sturm’ schreit und das internet zum ort der verdammnis erklärt.

(nochmal: auf facebook gab es wohl unangenehmere kommentare und die will ich nicht legitimieren; aber ich vermute stark, dass es auch dort konstruktiv/kritische stimmen gibt, die er ignoriert, weil er lieber in seiner schachtel bleibt und selbst die vorbeilaufenden mit seinem gackserl bewirft))

☍ 22.07.2015 /via @faz # misc
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